04.04.2025

Beefgeflüster mit Marc Jobin und Thierry Froidevaux, Saignelégier

«Es ist uns wichtig Lösungen zu finden, die für alle stimmen, nicht nur für einen selbst»

Kühe beschützen ihre Kälber, insbesondere wenn diese noch klein sind. Es ist wichtig, einen grossen Bogen um die Tiere zu machen und auf keinen Fall zwischen Kühen und Kälber hindurchzugehen. (Foto: Thierry Froidevaux)

Am 20. Mai 2025 wird in Saignelégier der Erlebnisweg eröffnet. Sie beide haben viel hierzu beigetragen, Marc Jobin als Gemeinderat, zuständig für das Dossier «Weiden, Wald, Abfall» und Thierry Froidevaux als Mutterkuhhalter. Was ist Ihre Motivation?

Marc Jobin: Unsere Region gehört zu den Freibergen und ist ein beliebtes Naherholungsgebiet. Typisch sind die grossen Waldweiden, auf denen Pferde und Rinder gehalten werden und durch die seit jeher viele Wanderwege führen. Leider gab es in den letzten Jahren unerfreuliche Begegnungen zwischen Kühen und Touristen, aber auch mit Einheimischen. Viele Bauern machten sich Sorgen. Es ist uns sehr wichtig, die Sicherheit der Wanderer und Biker so gut wie möglich zu gewährleisten und den traditionellen Weidebetrieb beizubehalten.

Thierry Froidevaux: Durch unsere Weiden führen viele Wander-, Bike- und Reitwege. Ich habe einmal an einem Schönwettertag während zwei Stunden die Personen gezählt, die bei uns vorbeikamen. Es waren rund 400! Vor ein, zwei Jahren ereignete sich auch ein Unfall mit einer unserer Mutterkühe. Ihr kleines Kalb lag auf der einen Seite eines Wegs, sie stand auf der anderen Seite. Als dann ein Wanderer dazwischen durchgehen wollte, hat ihn die Kuh über den Haufen gerannt. Glücklicherweise trug er keine schlimmen Verletzungen davon. Doch es ist wichtig, Unfälle aller Art zu vermeiden.

Pferde gehören ebenfalls zum typischen Landschaftsbild der Freiberge. Da sie Fluchttiere sind, geht von Pferden weniger Gefahr für Wandernde und Bikende aus, auch wenn Fohlen dabei sind. (Foto: Thierry Froidevaux)

Was versprechen Sie sich von dem Erlebnisweg?

Marc Jobin: Ich erhoffe mir vom Erlebnisweg, dass die Besuchenden unserer Region sich mit ihrem Umgang mit den Tieren auf der Weide beschäftigen. Dass sie Verantwortung übernehmen für ihr Verhalten. Zudem ist es eine sehr gute Möglichkeit, um die nicht-landwirtschaftliche Bevölkerung für Anliegen der Landwirtschaft zu sensibilisieren.

Thierry Froidevaux: Es gibt immer mehr Menschen in der Schweiz und immer weniger haben Kontakt mit der Landwirtschaft und damit verbunden auch mit Bauernhoftieren. Der Erlebnisweg kann helfen, den Dialog zu finden. Und er hilft ganz konkret, die Besuchenden zu «kanalisieren», so dass sie eben den einen Weg gehen und nicht den anderen.

Warum? Gibt es viele Wanderer oder Biker, die abseits der Wege unterwegs sind?

Thierry Froidevaux: Nein, zum Glück gibt es wenige «Touristes sauvages». Aber es gibt unterschiedliche Routen und die Wanderwege sind oft kantonal, ich kann diese also nicht selbständig versetzen. Aber an einer Stelle habe ich beispielsweise einen Pfeil mit einem Hinweis aufgestellt, wo draufsteht: «Folgen Sie dem Weg, nehmen Sie nicht die Abkürzung durch die Weide. Das Betreten der Weide geschieht auf eigene Gefahr.»

Und wird das respektiert?

Thierry Froidevaux: Ja, ich schätze, dass rund 95 Prozent der Wanderer den Hinweis ernst nehmen.

Dann erhoffen Sie sich vom Erlebnisweg, dass die Wanderer gezielt diese Route auswählen?

Thierry Froidevaux: Ja genau. Und dann kann ich besser steuern, welche Tiere ich entlang dieser Route weiden lasse. Pferde und Rinder sind eher unproblematisch, ebenso Mutterkühe mit grösseren Kälbern. Meine Mutterkühe mit kleinen Kälbern weide ich hingegen auf Weiden nah am Hof, wo keine Touristen vorbeikommen.

Viele Wege führen durch die Freiberge. Oftmals kann man wählen, ob man direkt durch eine Weide oder daran entlang wandern möchte. (Foto: Marc Jobin)

Gibt es andere Massnahmen, die zur Sicherheit der Touristen ergriffen werden?

Marc Jobin: Wir haben mit der BUL* die Situation analysiert. Ein Ort mit grossem Risiko war der Campingplatz von Saignelégier. Hier hat die Gemeinde den Weg zum Campingplatz beidseitig mit einem Zaun gesichert. Dies ist zwar ungewöhnlich, doch es hat viel zur allseitigen Beruhigung beigetragen. Etwas anderes ist, dass sich die Bauern bemühen, die Kühe nicht mehr auf der Weide abkalben zu lassen oder dann auf Weiden, die nicht exponiert sind.

Thierry Froidevaux: Ja das stimmt, das mache ich auch so. Zudem beobachte ich den Charakter meiner Tiere. Ich habe festgestellt, dass Nervosität oder eben ruhiges Verhalten vererbt wird. Es ist mir wichtig, dass meine Mutterkühe umgänglich sind und einen guten Charakter haben. Und natürlich stelle ich bei meinen Weiden auch die Warnschilder von Mutterkuh Schweiz / BUL auf und zäune an gewissen Stellen bewusst einen Weg aus.

Mit Zäunen auf beiden Seiten der Strasse wurde der Weg zwischen dem Campingplatz von Saignelégier und Sous le Bémont versehen, um die Sicherheit der Touristen zu gewährleisten. (Foto: zVg)

Wie ist die Unterstützung der anderen Beteiligten für den Erlebnisweg und die Sicherheitsmassnahmen?

Marc Jobin: Alle beteiligten Leute wollen es wirklich gut machen. Es ist uns wichtig Lösungen zu finden, die für alle stimmen, nicht nur für einen selbst.

Das ist wirklich vorbildlich! Wir wünschen Ihnen – und uns natürlich auch – dass der Erlebnisweg Ihre Erwartungen erfüllt und einen Beitrag zur Sicherheit in den Freibergen leisten kann. Vielen Dank für das Interview und die Zusammenarbeit und alles Gute!

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Marc Jobin ist Gemeinderat von Saignelégier und zuständig für die Dossiers «Weiden, Wald, Abfall». Beruflich ist er in der Uhrenindustrie tätig.

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Thierry Froidevaux bewirtschaftet in einer Gemeinschaft einen Pachtbetrieb von 75 Hektaren. Der Grossteil ist Weideland, zum Teil auch Gemeinschaftsweiden. Rund ein Drittel der Flächen sind Biodiversitätsförderflächen. Für eine optimale Fruchtfolge baut er etwas Dinkel und Futtergerste an. Auf dem Biobetrieb werden 25 Mutterkühe der Rasse Rätisches Grauvieh sowie deren Kälber gehalten. 60 Pferde, vor allem Freiberger, und während der Weideperiode zusätzlich 40 Rinder bevölkern ebenfalls die Weiden.

*Die Beratungsstelle für Unfallverhütung in der Landwirtschaft (BUL) ist das Schweizer Kompetenzzentrum für Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz in der Landwirtschaft und verwandten Gebieten. Da die meisten Unfälle mit Rindvieh auf den Bauernhöfen selbst passieren, liegt der Fokus der BUL auf Information und Schulung von Landwirten und Landwirtinnen zur Reduktion von Risiken. Doch auch in Bezug auf die Sicherheit von Drittpersonen auf Wanderwegen sind die Sicherheitsfachleute der BUL spezialisiert und beraten Gemeinden oder Tierhalter beispielsweise bezüglich Weidesicherheit und Zaunbau. Sie führen auch Kurse zum Umgang mit Rindvieh auf der Weide durch und stellen Material zur Sensibilisierung zur Verfügung. Mutterkuh Schweiz, die BUL, der Schweizer Bauernverband, Schweizer Wanderwege und Schweiz Mobil arbeiten seit bald 20 Jahren zusammen, um Unfälle zwischen Wandernden und Mutterkühen zu vermeiden. Schauen Sie sich hier den Kurzclip an zu den wichtigsten Verhaltensregeln gegenüber Rindvieh.