17.07.2020

Beefgeflüster mit Otmaro Beti, San Carlo/Berninapass

«Die Interessen werden immer vielfältiger. Der Raum ist beschränkt.»

Eisenbahn, Autostrasse, Hochspannungsleitungen, Wanderwege, Kuhweiden etc., viele verschiedene Interessen machen sich auf dem Berninapass den Platz streitig. (Foto: Otmaro Beti)

Otmaro, du und deine Familie, ihr seid im Sommer dort zu Hause, wo tausende Touristen Urlaub machen, auf der Alp Bondo am Berninapass. Dieses Jahr prognostiziert man noch mehr Urlauber in den Schweizer Alpen. Merkt ihr davon etwas?

Ja, bereits Anfang Juni haben wir festgestellt, dass noch mehr Leute hier oben unterwegs sind. Wir sind aber gut vorbereitet. Während des Winters haben wir mit der Beratungsstelle für Unfallverhütung (BUL) eine eingehende Risikobeurteilung durchgeführt. Basierend auf einem Sicherheitsgutachten und den Empfehlungen der Experten haben wir in Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen für den Unterhalt der Wanderwege Schilder montiert, um die Touristen an den richtigen Stellen auf das korrekte Verhalten gegenüber Weidetieren hinzuweisen.

Hattet ihr denn bisher keine Warntafeln aufgestellt?

Doch, aber es gibt jeden Tag Wanderer, die mit ihren Hunden durch die Herde laufen. Wir müssen also unsere Sorgfaltspflicht wahrnehmen und noch mehr sensibilisieren, damit sie Abstand zu den Tieren halten, Hunde an die Leine nehmen und auf keinen Fall vom Weg ab in eine Weide mit kleinen Kälbern hineingehen. Es ging in der Risikobeurteilung auch darum, Stellen zu eruieren, wo Schilder die grösste Wirkung haben. Ich kann eine Risikobeurteilung jedem Alpmeister empfehlen, der für eine Alp in einem touristischen Gebiet verantwortlich ist.

Tafeln machen an den richtigen Stellen auf das korrekte Verhalten gegenüber Mutterkühen und ihren Kälbern aufmerksam. (Foto: Luana Speiser)

Der Berninapass gehört wohl zu den am stärksten frequentierten Gebieten des Alpenraums. 

Ja, tatsächlich haben wir hier oben sehr viele Besucher. Da sind einerseits Touristen, die mit dem Zug oder Bus anreisen oder mit einer Seilbahn in die Höhe fahren. Diese sind meist problemlos für uns. Sie dringen kaum ins Weidegebiet ein, sondern drehen spätestens beim ersten Kuhfladen um (lacht). Dann gibt es aber auch die Wanderer, die Botaniker, Personen, die Wildtiere beobachten wollen und natürlich die Biker. Gerade viele Biker sind oft sehr schnell unterwegs und nehmen sich zum Teil leider wenig Zeit, die Landschaft und die Umgebung zu geniessen. 

Was bedeutet das für dich und die Arbeit auf der Alp?

Es ist eine grosse Herausforderung, doch wir haben auch Vorteile was die Erschlossenheit des Gebietes angeht. Die Zufahrt ist sehr praktisch und viele Weidegebiete kann ich aus dem Auto von der Strasse her einsehen und kontrollieren. Wegen Wanderwegen, Strassen und Eisenbahnlinien ist das insgesamt sehr grosse Weidegebiet in viele kleine Koppeln unterteilt. Das ermöglicht es mir, die Tiere in kleinen Herden zu halten. In kleineren Herden ist der Kälberzuwachs besser, die schwächeren Tiere kommen mehr zum Zug als in grossen Herden. Es bedingt aber auch viel Arbeit, da immer wieder neu eingezäunt und mit den verschiedenen Herden die Weiden gewechselt werden müssen. 

Welchen Wunsch hast du an die Touristen, die auf den Berninapass und eure Alp kommen?

Ich wünsche mir, dass sich die Leute bewusst sind, dass sie hier oben zu Besuch sind. Sie sollen sich Zeit nehmen, die Ruhe und die Landschaft geniessen und auch einen gewissen Respekt gegenüber dem Ort, den Menschen und den Tieren mitbringen. Die Alp gehört uns allen. Früher gab es nur die Älpler hier oben mit ihren Tieren, dann kamen die Strasse, die Eisenbahn, die Touristen, die Biker, die Grossraubtiere wie Bär und Wolf. Die Interessen werden vielfältiger und jeder beansprucht Platz für sich. Der Raum ist aber beschränkt. Jeder hat das Recht, seine Interessen zu leben und sich für diese einzusetzen, aber man muss auch Verständnis zeigen für diejenigen der anderen. Im Dialog können wir Lösungen finden, so dass alle Platz haben.


Otmaro Beti und Johanna Strawe leben mit ihren Kindern Ismaele (11), Giacomo (9) und Alma-Sophie (7) in San Carlo im Val Poschiavo. Hier, auf 1000 Meter über Meer, bewirtschaften sie 60 Hektaren landwirtschaftliche Nutzfläche. Auf einer Hektare wird Brotweizen für die Cooperativa Val Poschiavo angebaut. Der Grossteil der Flächen sind Ökowiesen und Mähwiesen zur Futtergewinnung für die 35 Mutterkühe mit Kälbern und Nachzucht sowie 120 Mutterschafe.

Von Ende Mai bis Mitte September ist die Familie wenn immer möglich mit den Tieren auf der Alp auf der Engadiner Seite des Berninapasses. Zusätzlich zu den eigenen Tieren betreuen sie hier zusammen mit einem Alphirten 20 Milchkühe, mehrere Mutterkuhherden, Rinder, 20 Alpschweine und auch Pferde. Gleichzeitig kümmert sich Otmaro zusammen mit einem Angestellten auch um die Heuernte auf dem Heimbetrieb.

Das Fleisch der Alpschweine sowie die Natura-Beef werden direkt vermarktet. 

(Foto: Johanna Strawe)