31.03.2021

«Ich trage zwei Hüte: Zum einen bin ich die Betriebsleiterin und zum andern die Tochter»

Franziska Schawalder – Meinen Besuch bei Rebekka Strub werde ich so schnell nicht vergessen. Zu eindrücklich waren die gemeinsam verbrachten Momente im Stall, die wertvollen Gespräche und das stürmische Wetter auf dem «Hof Horn» am Jura Südfuss. Und ganz ehrlich: Könnten Sie Ihren ersten Zebu-Kuss vergessen?

Rebekka Strub sorgt mit der täglichen Einstreu für ein schönes «Zuhause».

Draussen stürmt es, der Wind peitscht den Schnee in alle Richtungen und sucht sich jede noch so kleine Ritze im Stall, um das feine Weiss nach innen zu verfrachten. Oben im Tenn gelingt es ihm da und dort. «Wow – also so habe ich es im neuen Stall noch nie erlebt. Das ist Premiere», staunt Rebekka Strub. Gemeinsam hieven wir einen hübschen Holztisch, der unweit vom Tor steht, an einen schneesicheren Ort. Um den kleinen Durchgang unten beim Tor zu schliessen, sucht sie ein paar passende Bretter zusammen. Die Frau weiss sich zu helfen und Herausforderungen bringen sie nicht so schnell aus der Fassung. Die 38­jährige Meisterlandwirtin, die 2017 den Hof von ihren Eltern Käthi und Pauli Strub übernommen hat, ist eine beeindruckende Persönlichkeit. Unkompliziert, eine Menschen­ und Tierfreundin, weltoffen und entscheidungsfreudig, um nur einige wenige Attribute zu nennen, die sie auszeichnen. So hat ie auch sofort zugesagt, als ich sie gefragt habe, ob ich einen Tag bei und mit ihr auf dem «Hof Horn» verbringen darf.

Zebus sind neugierig und aufmerksam


Obwohl ich Rebekka Strub kaum kenne, ist sie mir schnell vertraut. Sie strahlt eine grosse Zufriedenheit und Lebenslust aus. Das ist ansteckend. Diese Ansteckung scheint sie auch auf ihre Tiere zu übertragen. Als ich an diesem Tag erstmals den Stall betrete, spüre ich gleich diese Ruhe. Rechts die 30­köpfige Aubrac­Herde mit einem hübschen Muni, links hinten die 40­köpfige Zebu­Herde mit ihrem Muni und links vorne die rund 25 Burenziegen mit einem Bock. Total unaufgeregt beäugen sie die Neue und sind gespannt was da kommt. «Du wirst sehen, die Zebus sind sehr neugierig und aufmerksam». Rebekka lädt mich ein, die Herde näher kennen zu lernen. Ich zögere keinen einzigen Moment. Sie kennt ihre Tiere so gut. «Es gibt eine einzige Zebukuh in der Herde, die ich etwas beobachten musste, wie sie auf dich reagiert», verrät sie mir später.


«Aber ich spreche mit meinen Tieren, teile ihnen die Spielregeln mit und wenn sie sich mehrere Mal nicht daranhalten, gehen sie in die Metzgerei.» Für die Landwirtin und Züchterin ist ein guter Charakter das ausschlaggebende Argument, ob sie mit einem Tier weiterzüchtet. Die Zebukuh besteht den Test, sie ist mir freundlich gesinnt. Die Herde beobachtet mich neugierig, verschiedene Tiere lassen sich streicheln. Ich rede mit ihnen und sage ihnen wie schön sie sind. Diese Vielfalt an Farben, Mustern, Grössen – eine Augenweide. Die Kälber sind zuckersüss und einige alles andere als scheu. Als ich in die Knie gehe, um mit ihnen auf Augenhöhe zu kommunizieren, drückt mir die kleine Estrella ihre Schnauze mitten ins Gesicht. Eine zweites Kälblein zieht hinten an meiner Jacke und ein drittes an meinem Hosenstoss. Estrella wiederholt den Schmatzer zu meiner grossen Freude noch etliche Male. Für einen kurzen Moment kann ich alles vergessen. Corona ist weit weg. Ich geniesse das Hier und Jetzt, widme all meine Aufmerksamkeit den Tieren und bin einfach nur glücklich und dankbar.


Ein Chalet mitten im Tenn


Obgleich ich Rebekka an diesem Tag tatkräftig unter die Arme greifen möchte, bin ich in erster Linie Gast. Die junge Landwirtin holt mich in Trimbach SO vom Bus ab und dann staune ich nicht schlecht, dass sich nur ein Katzensprung entfernt von Olten eine solch schöne Landschaft präsentiert. Rebekka öffnet das Tor zum Tenn und entführt mich als erstes in ihr Chalet. Ja ­ da steht tatsächlich ein richtiges Chalet mit einer eingebauten Küche und einem grossen Tisch. «Mir ist es wichtig, dass ich einen gemütlichen Ort habe, wo sich Menschen treffen und wo wir gemeinsam essen können.» Die Küche des Chalets ist hauptsächlich Mutter Käthis Reich. Heute Mittag zaubert sie einen herrlichen Mehrgänger auf den Tisch. So komme ich erstmals in den Genuss von Zebu­Fleisch. Sehr fein. Käthis ständiger Begleiter ist ihr Norwegischer Burenhund Smilla. «Mit Tieren konnte ich es immer gut», erzählt sie. «Mit Menschen tat ich mich bis zum Brand 2013 schwerer.» Aber damals sind so viele Menschen auf dem «Hof Horn» vorbeigekommen und haben ihre Hilfe angeboten. «Menschen, von denen ich es nie erwartet hätte. Diese Erfahrung hat mich offener und auch weicher gemacht», ist sich Käthi sicher und Rebekka unterstützt diese Aussage: «Wir haben zusammen mit Pauli zwischen dem Brand und meiner Übernahme stark an unserer Kommunikationskultur gearbeitet. Es war nicht immer einfach, aber es hat sich gelohnt.» Vater Pauli ist nach wie vor ein ruhiger Mensch, der sich nach dem Mittagessen zusammen mit seinem Hund Queenie, einem Spitz, verabschiedet und draussen seiner Arbeit nachgeht. Am späteren Nachmittag brechen die Eltern wieder auf in ihre Wohnung nach Trimbach. «Wir wohnen ganz bewusst getrennt. Ich habe das neue Haus übernommen. In der unteren Wohnung habe ich einen Mieter, oben wohne ich selbst.» Rebekka hat ihre Eltern im Stundenlohn angestellt. Ihr war es wichtig, Privates und Geschäftliches sauber zu trennen. So spricht sie beispielsweise ihre Eltern während des Tages mit Käthi und Pauli an, im privaten Rahmen nennt sie sie Mutter und Vater. «Ich trage zwei Hüte: Zum einen bin ich die Betriebsleiterin, die jetzt hier das Sagen hat, zum anderen die Tochter.» Es scheint, dass die drei das ganz gut hingekriegt haben. 

Rebekka Strub hat ihre Arbeitsabläufe zu Gunsten ihres Rückens optimiert. 

100 Tiere vor dem Brand gerettet


Damals ­ 2013 ­ brannten das Haus und der Stall der Familie Strub bis auf die Grundmauern nieder. Ihre Tiere allerdings konnten sie samt und sonders retten, was fast an ein Wunder grenzt. «Wir hatten 100 Tiere zu versorgen. Bis zum Neubau, der im März 2019 fertig war, hielten wir sie in einem Notstall und in Folientunnels. Da war nichts mit fliessemden Wasser und Strom», erzählt mir Rebekka. Sie wohnte während rund sechs Jahren bei einer Freundin und die Eltern in einer Wohnung im Nachbardorf. Während dieser intensiven und strengen Zeit ist bei der jungen Frau der Entscheid gereift, den Hof zu bernehmen. In einem ersten Schritt hat sie die berufsbegleitende Nachholbildung als Landwirtin absolviert und gleich im Anschluss die Ausbildung zur Meisterlandwirtin abgeschlossen. Damit stiegen ihre Chancen auf eine Pachtübernahme. «Hof Horn» ist im Besitz der ArmaSuisse (Bundesamt für Rüstung). Sie betreibt dort einen viel genutzten Schiessplatz. Für Rebekka kein Problem: «Für mich ist das normal. Ich bin so aufgewachsen.» Pauli Strub hat 1968 die Pacht übernommen, rund zehn Jahre später ist Käthi dazu gekommen. 1991 haben die beiden auf Biologischen Landbau umgestellt und im Jahr 2000 war dann die Umstellung auf die Mutterkuhhaltung abgeschlossen. Eine nachhaltige und ressourcenschonende Bewirtschaftung wird auf dem «Hof Horn» grossgeschrieben: «So wie bereits meine Eltern versuche ich die Kreisläufe möglichst geschlossen zu halten. Nach unserem Verständnis soll die Landwirtschaft eine Zusammenarbeit mit der Natur sein.» Dazu gehören auch rund 250 Hochstammbäume mit verschiedensten Obstsorten. 

Käthi ist stolz auf ihre Tochter


Käthi Strub, die selbst eine sehr erfahrene Tierkennerin und Züchterin ist, ist stolz auf ihre Tochter: «Nun – ich habe wirklich viel Erfahrung mit Tieren, aber Rebekka ist noch viel besser, als ich es je war.» Kein Wunder, dass ich mich auch in der Aubrac­Herde frei bewegen kann. «Es lohnt sich, die Leitkuh etwas im Auge zu behalten, aber das ist alles», meint Rebekka. Die Leitkuh ist allerdings am Fressen und würdigt mich keines Blickes. Der Stier, der aktuell keinen Auftrag zu erledigen hat, st eh die Gemütlichkeit in Stier. Zugegeben – ich bin sehr beeindruckt, berührt und auch etwas verzaubert von Rebekkas Tieren. Man spürt, dass sie viel Zeit in sie investiert. Während der Stallarbeit spricht sie mit ihnen, streichelt sie oder ermahnt sie auch einmal, wenn sie eine Grenze überschreiten. So erzählt sie von einer Zebukuh, die es immer wieder geschafft hat, den Futtertisch zu betreten. Mehrere Male hat sie sie ermahnt. Ohne Erfolg. Rebekkas Geduldsfaden war schon fast gerissen, als sie dem Tier sagte: «So – das ist deine letzte Chance. Wenn du noch einmal den Futtertisch betrittst, bringe ich dich in die Metzgerei.» Die Zebukuh hat den Futtertisch – Sie erraten es – nie mehr betreten. Apropos Metzgerei. Die Landwirtin bringt ihre Tiere stets selbst zum Metzger und bleibt bei ihnen bis zu ihrem Tod. «Die meisten der weiblichen Nachkommen nehme ich nach oder verkaufe sie. In die Metzgerei bringe ich vor allem die männlichen Kälber», erläutert sie mir ihre Strategie. 

Auch bei den Aubracs ist für Rebekka Strub ein guter Charakter ausschlaggebend für Zucht.

«Menschen, die an mich glauben, sind wichtig»


Bevor Rebekka den Hof 2017 von ihren Eltern übernommen hat, führte sie ein völlig anderes Leben. Nach der Diplommittelschule reiste sie nach Frankreich, wo sie ein Jahr bleiben wollte. Die Eltern holten sie eigenhändig von dort zurück, damit sie etwas Anständiges lernt. So wie ihre beiden Brüder, die beruflich nichts mit der Landwirtschaft zu tun haben. Die junge Frau entschied sich für eine Lehre als Landschaftsgärtnerin. «Es war schwierig eine Lehrstelle zu finden. Auf eine Frau hatte niemand gewartet», erinnert sie sich. Am Thunersee wurde sie schliesslich fündig. Für ihren Lehrmeister war bis zum Zusammentreffen mit Rebekka ebenfalls klar, dass er nie eine Frau einstellen wird. Zum Glück änderte er seine Meinung. «Ich bin so dankbar, dass er mir diese Chance gegeben und immer an mich geglaubt hat», erinnert sie sich an den mittlerweile verstorbenen Mann. Eine zweite Person, die Rebekka viel Selbstvertrauen mit auf den Weg als Landwirtin und Züchterin gegeben hat, ist der kürzlich verstorbene Pascal Desbiolles. «Er war Vizepräsident beim Aubrac­Rassenclub und ein unglaublich lieber Mensch. Trotz seines immensen Wissens war er so bescheiden. Und ja – er war es, der mich in den Vorstand des Rassenclubs geholt hat», erinnert sie sich. «Für mich waren und sind Menschen wichtig, die an mich glauben und mir das Vertrauen schenken, dass ich die Dinge geregelt bekomme.» Zwischen der Zeit als Landschaftsgärtnerin und Landwirtin war Rebekka an vielen Orten auf dieser Welt unterwegs: «Während rund zehn Jahren habe ich im Winter irgendwo gearbeitet, im Eventbereich oder der Gastronomie, und dann bin ich wieder losgezogen in die grosse weite Welt. Diese Jahre möchte ich auf keinen Fall missen. Ich habe so viele verschiedene Länder und Menschen kennengelernt. Das Bewusstsein, wie gut wir es hier in der Schweiz haben, ist in dieser Zeit gewachsen und hat mir auch nach dem Brand geholfen.» Das Reisefieber ist nach wie vor am Lodern, aber aktuell hat sie keine Zeit. Seit der Hofübernahme gab und gibt es so viel zu tun. Hin und wieder kann sie sich dank der Unterstützung ihrer Eltern und ihrer Lernenden einen Tag frei nehmen: «Andrea ist gleich alt wie ich und absolviert aktuell die Nachholbildung als Landwirtin. Wir verstehen uns sehr gut und sie ist eine grosse Hilfe.» 

Auch die Burenziegen bereiten Rebekka Strub viel Freude.

Erste Erfahrungen mit Sherpa


Da Andrea nur rund eineinhalb Tage auf dem Hof anwesend ist, lerne ich sie nicht persönlich kennen. Was ich allerdings kennenlerne, ist ein kleiner Teil ihrer Arbeit. «Komm – versuch mal den Sherpa zu steuern», motiviert mich Rebekka. Sherpa ist nicht etwa ein nepalesischer Bergführer, sondern eine kleine, elektrobetriebene Baumaschine mit einem Schieber. Sherpa und ich brauchen eine gewisse Zeit, bis wir uns angefreundet haben. Das Steuern mit Joysticks ist gar nicht so einfach und so nehmen Sherpa und ich den einen oder anderen Hupf, bis der Mist auch wirklich da zu liegen kommt, wo er hinsollte. 
Draussen stürmt es noch immer. Nachdem auch die letzten Löcher im Tenn gestopft sind und Rebekka die Stallkleider abgelegt hat, trinken wir drinnen im warmen Chalet einen Tee und freuen uns über die Waffeln von Käthi. Am liebsten würde ich jetzt grad hierbleiben, morgen wieder die kleinen Zebus herzen, die 20 Katzen füttern und Sherpa noch einmal zum «Zweikampf» herausfordern. Und just in diesem Moment fällt mir auf, dass ich ja gar keine Ersatzkleider mitgenommen habe. So kommt es, dass ich auf meiner Rückfahrt nach Zürich ein Viererabteil ganz für mich allein habe und für einmal aus doppeltem Grund froh bin, dass meine Mitreisenden eine Maske tragen. 

Den Sherpa hat die Meisterlandwirtin um Welten besser im Griff als die Autorin. (Fotos: Franziska Schawalder)