06.05.2022

Beefgeflüster mit Marie Henchoz, Liedermacherin

«Ich bin der bäuerlichen Welt sehr verbunden, das sind meine Wurzeln»

Marie Henchoz ganz nah an ihren Wurzeln: sie besucht ihre Familie im Pays-d'Enhaut sehr häufig. (Foto: zVg)

Frau Henchoz, Ihre Lieder kennen wohl die meisten Kinder in der Romandie. Wie sind Sie auf die Idee für das Lied «La vache en hélicoptère» (Die Kuh im Helikopter) gekommen?

Es basiert auf einer wahren Geschichte. Ich war als Erwachsene an einem Sonntag zu Besuch bei meiner Familie, als plötzlich der Nachbar zu uns kam und um Hilfe bat. Seine Kuh Augusta war an einem Hang in ein Loch abgerutscht und konnte nicht mehr raus. Wir sind losgefahren, um zu helfen. Alle Bauern aus dem Dorf waren da und haben gezogen. Die Kuh hat die ganze Zeit gemuht. Schliesslich musste die Rega kommen und die Kuh mit einem Netz aus dem Loch herausfliegen. Zwei Tage später hat Augusta zwei gesunde Kälber zur Welt gebracht. 

Als ich die Kuh da in dem Netz am Helikopter baumeln sah, dachte ich: «Das gibt ein schönes Lied». Ich hatte gerade erst mit dem Liederschreiben begonnen. 

Wie sind Sie zur Musik gekommen?

Ich hatte schon als Kind immer auch diese musikalische Seite. Ich wurde Kindergartenlehrerin  und wollte Musik und Kinder zusammenbringen. Obwohl ich meine Tätigkeit liebte, habe ich mich beruflich weiterentwickelt. Ich habe an der Swiss Jazz School und am Institut Jacques Dalcroze studiert und wurde Rhythmiklehrerin. Hier habe ich auch Musik komponieren und schreiben gelernt. Ein Professor hat damals zu mir gesagt : « Du musst Kinderlieder schreiben. Du bist begabt. Wenn die Schüler rausgehen, singen alle das, was du vorgespielt hast. » 

Er hat dann jede Woche gefragt, ob ich begonnen habe. Also habe ich irgendwann angefangen. Ich habe vier, fünf Lieder geschrieben, habe diese mit Hilfe meines Neffen aufgenommen und bin damit zum Verlag «Éditions Loisirs et Pédagogie»  in Lausanne. Philippe Burdel, Gründer und Direktor des Verlags hat mir gesagt: wir machen ein Buch mit Kassette – ja, damals waren es noch Kassetten. So ist das erste Sautecroche-Album entstanden. 

Und dann haben Sie immer mehr geschrieben ?

Zuerst nicht. Nach zwei Alben habe ich gesagt, ich habe keine Ideen mehr. Doch dann ging es doch weiter und hat 30 Jahre angedauert. Es war der Beginn eines schönen Abenteuers. Meine Inspiration für die Lieder kommt oft aus meiner Kindheit, aus meinem Alltag, von meinen Reisen. 

Haben Sie noch andere Lieder über Kühe geschrieben?

Nicht über Kühe aber über ein Kalb. Es heisst «Le veau qui aimait l’eau»  (Das Kalb, das das Wasser liebte) und handelt von einem kleinen Kalb, einem kleinen Draufgänger. Es war sehr aufgeregt und leichtsinnig und ist aus der Weide abgehauen. Der Bauer lief ihm nach, um es wieder einzufangen, da fiel das kleine Kalb in den kleinen künstlichen See. Es schwamm durch den ganzen See bis ans gegenüberliegende Ufer. Der Bauer schnappte sich sein Velo und fuhr um den See herum, um dort das Kalb einzufangen. Als er dort ankam, drehte das Kalb einfach um und schwamm zurück. 

Die bäuerliche Kultur und Tradition haben Marie Henchoz und ihre Lieder geprägt. (Foto: zVg).

Was für eine Beziehung haben Sie zu Kühen?

Ich habe Kühe immer bewundert. Da ich auf einem kleinen Bauernhof in Château-D’Oex aufgewachsen bin, habe ich viel Zeit im Stall verbracht und viele Kälber auf die Welt kommen sehen. Ich erinnere mich immer noch, dass mein Vater jeder Kuh jeweils nach der Geburt eine Flasche Wein verabreicht hat, zur Entspannung. Eine andere Erinnerung ist die, dass wir Kinder jeweils die Milch ins Dorf brachten, im Sommer mit einem kleinen Wagen, im Winter mit dem Schlitten. 

Was für eine Beziehung haben Sie heute zu Kühen und zur Landwirtschaft ?

Ich bin immer noch sehr verbunden mit dieser Welt, sie hat mich stark geprägt. Mein Bruder hat den elterlichen Betrieb übernommen und ich gehe auch heute noch sehr oft heim. Viel bedeutet mir auch das «fête de la desalpe » (Alpabzug) in Étivaz, da bin ich wenn möglich immer dabei. 

Was ist Ihre Mission ?

Ich gebe mir keine Mission, das ist nicht meine Absicht. Aber viele Leute sagen mir, dass meine Lieder alle positiv sind. Was ich möchte: Kindern etwas von dem Glück, das ich erleben durfte, weitergeben, teilen. Ich war in Vietnam und in Indien und habe mit Kindern in Waisenhäusern meine Lieder gesungen. Es war witzig, da sie ja die Texte nicht verstanden. Sie haben phonetisch nachgesungen, was sie hörten. Und mit Händen und Füssen habe ich Ihnen erzählt, worum es in den Liedern geht. Beim Lied «La vache en hélicoptère» habe ich ihnen anhand des Ventilators an der Decke den Hubschrauber erklärt.

Marie Henchoz mit Sébastien Descloux, einem der Solisten des «Ranz des Vaches» am «Fête des Vignerons» in Vevey. Als Kind sang er für Sautecroche und bereits damals nannte sie ihn «den Senn». (Foto: zVg)

Welches ist Ihr Lieblingslied?

Mein Lieblingslied ist «Vive les différences»  (=Lebe die Unterschiede) aus dem Album Sautecroche 10. Es handelt von einem Kind im Rollstuhl, das von seinen Freunden überallhin mitgenommen und geschoben wurde. Dieses Kind, das heute erwachsen ist, hatte grosse Freude an meinen Rhythmiklektionen und hat mich zu diesem Lied inspiriert. Hier der Refrain, genau so erlebe ich die Welt, bereichernd durch die Unterschiede: «Die Unterschiede, das ist wie das heilige Brot, ich liebe das «Meli-Melo», die bunte Mischung von Freunden. Dank den Unterschieden weitet sich mein ganzes Herz, der Klassenspiegel hat alle Farben.» (Les différences, c'est comme du pain bénit, J'aime le méli-mélo, méli-mélo d'amis. Et grâce à elles, tout mon cœur s'élargit, Le tableau de la classe a tous les coloris.)


(Foto: zVg)
(Foto: zVg)

Marie Henchoz, 75 : geboren und aufgewachsen auf einem Bauernhof im Bergdorf Château-d’Oex, heute wohnhaft in Blonay, langjährige Tätigkeit als Kindergartenlehrerin und Lehrerin für Rhytmik in der Schweiz und Kanada, gehört heute zu den wohl bekanntesten Liedermacherinnen der Suisse Romande. Bis heute hat sie 13 Alben für Kinder unter dem Serientitel « Sautecroche » und 5 « Minicroche » herausgebracht. 

www.sautecroche.ch

www.editionslep.ch