Ein Stierkalb für die Zucht muss von genetisch hochwertigen Eltern abstammen. (Foto: zVg)
Ein Zuchtstier wird nicht einfach geboren. Von der Idee bis zum Verkauf des Zuchtstiers an einem Stierenmarkt vergehen über zwei Jahre. Die Arbeit beginnt nämlich schon vor der Geburt des Stieres mit der Auswahl der richtigen Kuh als Stierenmutter und dem passenden Stier als Vater.
Bei beiden Elterntieren wird darauf geachtet, dass sie gesund sind und insbesondere kräftige und robuste Beine und Klauen haben, die ein langes Leben erst möglich machen. Beim Stier ist die Abstammung äusserst wichtig, um die genetische Vielfalt möglichst gross zu halten und Inzucht zu vermeiden. Zudem müssen sich beide Tiere durch einen guten, umgänglichen Charakter auszeichnen. Daneben werden wirtschaftliche Faktoren und Leistungsparameter berücksichtigt wie beispielsweise das Geburtsgewicht der Kälber und Zuchtwerte für Fleischigkeit.
Nach der Auswahl und Paarung heisst es warten und die Kuh optimal auf die Geburt vorbereiten. Neun Monate dauert es, bis das Kalb auf der Welt ist. Die Spannung ist natürlich gross – wird es wirklich ein Stierkalb? Wenn nicht, ist es vielleicht ein vielversprechendes Kuhkalb für den eigenen Bestand. Doch das heisst auch, ein weiteres Jahr warten, bis die auserkorene Stierenmutter erneut ein Kalb zur Welt bringen kann.
Die ersten Tage und Wochen
Ist tatsächlich ein Stierkalb auf die Welt gekommen, ist die Freude gross. Aufmerksam werden Mutterkuh und Kalb beobachtet. Kann das Kalb genügend wertvolle Kolostralmilch trinken? Ist die Kuh gesund und frisst sie normal? Schon bald bekommt das Kalb seine gelben Ohrmarken, damit es eindeutig identifizierbar ist. Täglich wird der Nabel kontrolliert, denn eine Entzündung kann die Reproduktionsfähigkeit des Stieres reduzieren.
Neugierig erkundet das kleine Kalb die Welt. Zuerst trinkt es fast nur Muttermilch, dann beginnt es ein wenig Heu zu knabbern oder frisst auch schon einmal neben der Mutter ein wenig von deren Futterration. Eine gute und gleichmässige Milchleistung der Mutter ist entscheidend, damit das Kalb gedeiht. Ziel für einen zukünftigen Zuchtstier ist, dass das Kalb überdurchschnittlich an Gewicht zulegt. Dies wird mittels Wägungen erhoben.
Ganz wichtig ist auch der tägliche Kontakt mit den Bezugspersonen. Schon das Kalb soll sich an Menschen und Berührungen gewöhnen, damit es sich zu einem umgänglichen Zuchtstier entwickeln kann.
Der Jungstier lernt am Halfter zu gehen. Der Nasenring ist obligatorisch für Stiere, die am Stierenmarkt teilnehmen. Er ist jedoch nur als Notbremse gedacht. (Foto: Mutterkuh Schweiz)
Ein effektives Piercing
Sind Zuwachs und Entwicklung des Kalbes vielversprechend und auch die Beurteilung der Mutter fällt zur Zufriedenheit aus, kann tatsächlich auf den Stierenmarkt hingearbeitet werden. Mit ungefähr acht bis zehn Monaten wird der Jungstier von der Mutter getrennt. Diese sollte zu diesem Zeitpunkt bereits wieder im siebten Monat trächtig sein und sich vor der nächsten Geburt erholen dürfen. Der Jungstier wird, wenn möglich, in eine Gruppe gleichaltriger Artgenossen integriert.
Schon bald wird ihm unter Lokalanästhesie ein Nasenring gesetzt. Wie bei einem Piercing muss dieser in den nächsten Tagen täglich gedreht werden, damit er während des Heilungsprozesses nicht festwächst. Der tägliche Kontakt und die regelmässige Pflege sind die Basis für das Vertrauen zwischen Jungstier und Bezugsperson, die dies erst möglich machen. Die Übungen zum Gehen am Halfter sind dann nur die Fortsetzung davon. Übrigens dient der Nasenring nicht zum Führen des Stieres, sondern ist als eine Art «Notbremse» gedacht. Sollte ein Stier – der mittlerweile rund 400 Kilogramm schwer ist – ausreissen wollen, wird er mithilfe eines am Nasenring befestigten Seils gebremst. Der Schmerz in der Nasenscheidewand hält ihn zurück.
Nach Übungen am Halfter in sicherer Umgebung wird der Jungstier nach und nach mit verschiedenen Herausforderungen konfrontiert. Dazu gehören Begegnungen mit Autos und Fahrrädern, Pferden, einem laufenden Radio, rauschendem Wasser unter einer Brücke oder auch einem Weg durch einen dunklen Gang. Sobald alles funktioniert, wird der Stier auch einmal in den Tiertransporter geführt und macht eine erste kleine Ausfahrt.
Der Jungstier hat gelernt, sich im Ring zu präsentieren. (Foto: Mutterkuh Schweiz)
Der grosse Tag
Nach 14 bis 16 Monaten kommt der grosse Tag: Der Jungstier ist bereit für den Stierenmarkt. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass das Tier gesund ist. Auf dem ganzen Lebensweg gibt es immer wieder Verletzungsgefahren, die eine Karriere als Zuchtstier unmöglich machen. Doch sind alle Hürden überwunden, wird der Jungstier sauber gewaschen und zum Stierenmarkt transportiert. Vor der Präsentation im Ring wird der Stier noch beurteilt und punktiert. Vielleicht gibt es sogar eine Auszeichnung? Und dann erreicht die Spannung ihren Höhepunkt: wird der Stier eine Käuferin bzw. einen Käufer finden und einen guten Preis lösen?
Für die Züchterin bzw. den Züchter ist dieser Moment die wohlverdiente Krönung monatelanger Arbeit. Gleichzeitig heisst es jedoch auch Abschied nehmen von einem Tier, zu dem man während 16 Monaten eine enge Beziehung aufgebaut hat. Alles Gute und ein schönes Leben – das wünscht sie bzw. er dem verkauften Zuchtstier – und widmet sich dann bereits den nächsten vielversprechenden Jungstieren zu Hause.
Die Zucht von Stieren ist eine Leidenschaft, die meist von der ganzen Familie gelebt und gepflegt wird. (Foto: Mutterkuh Schweiz)
In der Mutterkuhhaltung werden rund 80% der Kühe im Natursprung belegt. Die Stierenzucht und der Stierenaustausch sind unabdingbar. Der Stierenmarkt ist eine geeignete und beliebte Kauf- und Verkaufsmöglichkeit.
Die Stierenmärkte für Fleischrinder bestehen seit 1980. Mutterkuh Schweiz organisierte in einer ersten Phase einen Markt pro Jahr (im Oktober). Aufgrund der gewünschten jahreszeitlichen Verteilung der Abkalbungen wurde 1992 ein zweiter Markt eingeführt (im März) und seit dem Jahr 2002 werden drei Stierenmärkte durchgeführt (Januar, April und September).
Zusammengefasst werden pro Jahr an den drei Anlässen 170 bis 200 Stiere aufgeführt.
Rund die Hälfte der angebotenen Stiere sind Limousin. Insgesamt entfallen über 90% auf die drei Hauptrassen Limousin, Angus und Simmental. Vereinzelt werden Stiere der Rassen Charolais, Aubrac, Grauvieh und Braunvieh oder auch anderer Rassen angeboten.
Ein Highlight an jedem Stierenmarkt: Die Präsentation und Wahl der Rassen-Champions, hier im Bild die Champions und Vizechampions vom Stierenmarkt im Januar 2024. Von links zweimal Simmental, Grauvieh, zweimal Angus und zweimal Limousin. (Foto: Mutterkuh Schweiz)
Das durchschnittliche Alter der Stiere beträgt rund 15 Monate, wobei die Spannweite von 12 bis 18 Monate reicht. Die Käufer bevorzugen Stiere, die nach dem Kauf rasch eingesetzt werden können.
Auf vielen Betrieben wird der Herdenstier zwei bis drei Jahre eingesetzt. Nachher ist ein Wechsel angezeigt, um Inzucht zu vermeiden. Die älteren Stiere werden von Betrieb zu Betrieb gehandelt oder durch Viehhändler vermittelt.
Der langjährige Mittelwert des Verkaufspreises liegt zwischen 5'000 und 6'000 Franken. Für den übrigen Stierenhandel sind die Auktionspreise am Stierenmarkt für Fleischrinderrassen direkt wegleitend.